IMI-Analyse 2025/21
Optimierungswahn
Die Crux vom Bürokratieabbau in der Beschaffung
von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 24. Juli 2025
Die Bundeswehr und ihre Beschaffung sind Dauerthema in den Medien – es dominiert die Debatte und verdrängt jede andere Überlegung zu Sicherheit und Frieden. Eine kritische Auseinandersetzung findet überhaupt nicht mehr statt, allenfalls existiert noch eine Debatte über die „richtige“ bzw. „bessere“ Aufrüstung. Und selbst hier läuft einiges schief, wie aktuell auch die Diskussionen um das „Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz“ zeigen. Die Engführung auf die „Vorteile“ des Bürokratieabbaus im Beschaffungswesen wird zum genauen Gegenteil dessen führen, was sie scheinbar bewirken soll: Sie wird noch mehr Geld in die Taschen der Rüstungsindustrie und ihrer Aktionäre wandern lassen, die ihre völlig überteuerten Produkte künftig mit noch weniger Transparenz und Überwachung an den Mann bzw. das Verteidigungsministerium bringen können.
Ablenkungsmanöver Bürokratieabbau
Greenpeace, leider, so muss man sagen, hat mit den Studien von Michael Brzoska schon 2022 ein erstes Fundament gelegt, auf dem die Argumentation von Bürokratieabbauexperten noch heute aufbaut: die deutsche Beschaffung sei in ihrem System darauf angelegt, Beschaffung zu verkomplizieren und zu verteuern.[1] Die „Goldrandlösungen“, die sich das Militär wünsche, stünden der Angleichung der europäischen Beschaffungen im Weg und hätten Kostensteigerungen über alle Maßen zur Folge. Die behördlich-industrielle Kumpanei sei systemisch und trage nicht dazu bei, die gesteckten Ziele in der Rüstung zu erreichen. Hier sei, so sagen dann alle berufenen Militärexperten, auch der Flaschenhals dafür identifiziert, dass ein Bundeswehrsoldat keine Socken habe und die teuer erworbenen Waffensysteme nicht einsatzfähig gehalten werden könnten. Kurzum: Koblenz, oder besser das dort ansässige Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), sei schuld, dass die Bundeswehr „blank“ dastehe.
Die geisterhaft „kaputt gesparte Bundeswehr“ – richtiger wäre es, von einer transformierten Bundeswehr zu sprechen, der es an nichts fehlte, außer an der vollständigen Fähigkeit zur Landesverteidigung – könne somit den „modernen“ Anforderungen nicht genügen. Für die „Verteidigung“ brauche es neben einem neuem Mindset vor allem neues und mehr Material, so die alles dominierende Argumentation. Dieser Reflex auf eine plötzliche Bedrohung, die wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, bestand aber nicht nur darin, dass man eine für fast dreißig Jahre gültige Militärdoktrin – wir erinnern uns: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt – über den Haufen wirft, sondern auch gleich jedwede Haushaltsdisziplin, die ansonsten wunderbares Hilfsmittel war, jeden „Anspruch“ an einen sozialen Ausgleich oder eine „klimafreundliche“ Politik abzuwehren. Mehr Geld für mehr Material! Zack, zack!
Für diesen Debattenverlauf konnte sich die Industrie nur bedanken. Ja! Alles ist die Schuld der Bürokratie. Denn damit werden alle Unzulänglichkeiten und Tricks der Industrie, ihre Verantwortung für Verzögerungen, eklatante technische Mängel und Kostensteigerungen ausgespart. Die Komplexität von Waffensystemen (natürlich gefordert von Militär und BAAINBw) seien demnach die eigentlichen Triebkräfte der Verzögerungen und Defekte – nicht mangelnde Leistungsfähigkeit und Planungsfähigkeit der Industrie. Die konkreten Erfahrungen, die man mit ebendieser Industrie gemacht hat – nämlich unhaltbare Versprechen über die Einsatzfähigkeit von Panzern, Raketen, Korvetten und Hubschraubern, die sich in Luft auflösen, sobald die Kiste mal auf dem Hof steht – , werden so ausgeblendet. Hier gilt es nicht einmal die Beschaffungsbürokratie in Schutz zu nehmen, denn sie ist zu groß und zu ineffektiv, aber es gilt darauf zu verweisen, dass diese Größe und die Komplexität ihrer Prozesse nicht zuletzt eine Begründung im Gebaren der Industrie finden, die dringend kontrolliert werden muss.
Beredet Auskunft über diese Seite haben nicht zuletzt die Rüstungsberichte der letzten Jahre gegeben. Darin wird sichtbar, wie die Industrie systematisch die Preise für ihre nicht funktionierenden Produkte nach oben getrieben hat. Darin wird auch sichtbar, in welch asymmetrischer Position sich der Bund als Beschaffer befindet: oftmals als einziger Kunde gegenüber einem Monopolanbieter. Die Lösung, diese Position zu verbessern bestand lange darin, noch mehr Bürokratie und Kontrolle aufzubieten und Unternehmensberatungen als (kostenpflichtige) Kontrollinstanz einzuführen.
Befreiungsschläge häppchenweise
Mit den 100 Mrd. Euro des „Sondervermögens“ der Bundeswehr wurden schnell auf Rufe lauter, es bedürfe jetzt eines Bürokratieabbaus, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, dieses ganze Geld auch absorbieren zu können. Begonnen hat es anfangs vergleichsweise harmlos: mit dem Wortungetüm „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ (BwBBG) wurde bereits im Juli 2022 versucht, die rechtlichen Hürden für eine freihändige Vergabe durch das BAAINBw zu senken, der Zersplitterung von Aufträgen entgegenzuwirken und die Verzögerungen durch möglichen Widersprüche konkurrierender Unternehmen abzufangen. Im Schnell-Schnell der neuen Beschaffung sollen zudem „marktverfügbare Lösungen“ bevorzugt werden, was in gewisser Weise auch in die Beschaffungsprozesse in der Bundeswehr selbst eingreift, da bisher der „Bedarf“ ausschlaggebend ist und nicht das „Angebot“. Dass die im Gesetz vorgesehene Bündelung von Losen- und Einzelaufträgen zu einer strukturellen Benachteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen führen kann, ist da schon eher eine Petitesse.
Die bayerische Landesregierung hat 2024 mit ihrem (überdimensionierten) „Bundeswehrunterstützungsgesetz“ in eine nur scheinbar ganz andere Kerbe gehauen. Vordergründig und in der medialen Debatte (zurecht) vollkommen beherrschend ist der darin enthaltene Eingriff in die Schul- und Universitätsgesetzgebung, der zur Kooperation und Öffnung gegenüber militärischen Ansprüchen führt.[2] Ebenfalls enthalten ist aber die Aushebelung verschiedenster anderer Vorgaben vom Umwelt- bis zum Denkmalschutz. Dies gilt in erster Linie für die Bundeswehr selbst aber auch Rüstungsunternehmen wird es implizit erleichtert, von universitärer Forschung zu profitieren und den Ausbau von sicherheitsrelevanten Produktionsstätten zu beschleunigen. Bayern sieht sich an der vordersten Front der Rüstung in Deutschland und wird absehbar am meisten von allen Bundesländern von der massiven Aufrüstung profitieren. Es ist absehbar, dass andere Bundesländer diese Militarisierung der eigenen Bürokratie ebenfalls voranbringen wollen – man kann hier insbesondere an die Bundesländer Baden-Württemberg und Bremen denken, in denen Rüstung ein relevanter wirtschaftlicher Faktor ist.
Ein weiterer Baustein ergibt sich aus der ebenfalls 2024 vom Kabinett verabschiedeten „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“, die schon von der Hoffnung getragen ist, mit dem Ausbau der Rüstung nicht nur den Wohlstand in Deutschland militärisch zu verteidigen, sondern auch ökonomisch abzusichern. Einmal mehr werden Vorschriften geschliffen, Verfahren vereinfacht und vor allem Tür und Tor geöffnet, um der Industrie beste Bedingungen zu liefern, hohe Profite zu erwirtschaften. Da dies an anderer Stelle[3] bereits ausführlich dargestellt ist, sollen hier Punkte nur Stichwortartig aufgeführt werden: Abnahmegarantien, Exporterleichterungen, vereinfachter Zugang zu Finanzmitteln (Stichwort nachhaltige Rüstung).
Füllhorn aktiviert, Bremsen weiter gelockert
Die neue Koalition hat es geschafft, den sich steigernden Bundeswehretat aus dem Blickfeld der Bundesbürger zu ziehen – vordergründig gibt man nur das Nötigste aus, indem man den auf die Schuldenbremse anrechenbaren Haushaltsanteil bei 1% BIP einfriert und gleichzeitig alle Ausgaben darüber hinaus von der Schuldenbremse ausnimmt: macht doch einfach Schulden, oder, wie es der Kanzler formuliert: whatever it takes! Wieviel hat man dann auch gleich festgelegt: 3,5% + 1,5%. Wieviel davon Rüstung und wieviel davon zusätzliches Personal sind, bleibt noch offen. Haushaltstechnisch nennt sich das „Bereichsausnahme“ und „Einnahmen aus Krediten“. Der geplante Bundehaushalt schwillt in den Jahren bis 2029 von 474 Mrd. Euro (ist 2024) auf 573 Mrd. Euro an – die Einnahmen von Steuern verharren in dieser Zeit auf 375 bis 423 Mrd. Euro, während die Nettokreditaufnahme von derzeit 33 auf über 126 Mrd. Euro steigt – in der Summe der fünf Jahre satte 500 Mrd. Euro neue Schulden.[4]
Nun, im Jahr 2025, also ein weiterer Befreiungsschlag: ein weiteres Gesetz, das es ermöglichen soll, Verfahren zu beschleunigen und schneller (!!!) zu Ergebnissen zu kommen: überteuertes, kaputtes Material auf Hof und im Hafenbecken oder Socken, die nicht passen. Das „Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz“ (BwPBBG) wirkt dabei auf den ersten Blick, wie die zugespitzte Version des BwBBG – fundamental das Gleiche. Wieder steht die Herabsetzung von Hürden für die Bürokratie im Fokus, Aufträge freihändig zu erteilen und die Rechte von Mitbewerbern zu beschneiden. Die Inszenierung als „neu“, „weitergehend“, „Quantensprung“ (Pistorius) etc. ist dabei weitgehend Augenwischerei. Das Hochsetzen der Grenzen, ab denen eine Ausschreibung zwingend erforderlich ist, macht aus bürokratischer Sicht Sinn, da dank Inflation und Volumen insgesamt der Aufwand exponentiell wächst. Ob die Verdreißigfachung des Wertes von 15.000 Euro auf 443.000 Euro angemessen ist, oder zur Bequemlichkeit verkommt, sei dahin gestellt. Fraglich ist an dieser Stelle sicher auch, ob dies nicht auch für andere Lebensbereiche, z.B. in den Kommunen, auch gelten könnte?
Die Vermeidung einer Aufsplitterung von Aufträgen leuchtet dem Normalsterblichen auch ein: klar es ist einfacher, wenn nur ein, statt fünf Aufträge ausgelobt und vergeben werden müssen. Umgekehrt – und hier wäre an den Ursprungsgedanken auch dieser Regelung zu denken – hatte diese ja tatsächlich den Zweck, den „Wettbewerb“ zu erhöhen und die Angebotsseite zu zwingen, „marktgerechte Preise“ anzubieten. Nun gilt, insbesondere angesichts zunehmend freihändiger Vergabe: weniger Wettbewerb, weniger Transparenz, mehr große Unternehmen. Damit gerät dies zu einem Instrument, das absehbar dazu führt, den Kreis der Anbieter zu reduzieren und Monopolisten für zu schaffen, die ihre Preise höher ausgestalten werden (!).
Besonderheiten dieses neuen Gesetzes liegen aber auch noch woanders – einerseits in der Neufassung des Geheimschutzes, der eine weitere Abkapselung von öffentlicher Transparenz in den Beschaffungsprozessen ermöglicht, zum anderen in der Ausweitung der Einschränkungen mit Bezug zu militärischen Anlagen und deren Erweiterung. Letzteres ist besonders deutlich und aufgezogen an der Neufassung des Luftverkehrsgesetzes. Ab nun gilt, dass das Militär wo immer es will Flugplätze bauen und unterhalten kann und auch die Lufthoheit genießt, andere Bauwerke, die dem Flugbetrieb im Wege stehen könnten, zu untersagen. Kurzum, es ist das Verteidigungsministerium, das letztlich entscheiden wird, ob wir mithilfe von Windkraft die Energiewende schaffen, oder dieser Anspruch einem Eurofighter oder einer Radaranlage weichen muss. Hier schließt das Bundesgesetz an die bayerische Vorlage an und räumt der Bundeswehr weitere Kompetenzen ein: Sie selbst darf bei ihren Bauvorhaben künftig abwägen, ob sie umwelt- oder naturschutzrechtliche Vorgaben erfüllt oder nicht. Der militärische Betrieb, der so oder so eine erhebliche Klima- und Umweltbelastung darstellt, wird einmal mehr von allem ausgenommen. Das macht es ggf. nicht einmal wirklich billiger, gleichwohl führt das zu minimalem bürokratischem Einsparungspotential. Wieder ließe sich analog die Forderung formulieren, ob man nicht generell den Katalog von Bauvorschriften überprüft, als einem militärischen Teil einen Freibrief auszustellen.
Doch auch die Wirtschaft ist mit dem neuen Gesetz nicht ganz glücklich – einerseits werden die Rechte von Konkurrenten weiter ausgehöhlt, zum andere spiegelt es die „Versprechungen“ aus der Industriestrategie nicht wirklich wieder. Hier dürften die neuen Vorschläge im Gesetz, die es z.B. auch Start-Ups ermöglichen, Vorauszahlungen zu erhalten, nur bedingt helfen. Insbesondere wurde Forderungen nach einer Anhebung des Schwellenwerts für eine – relativ – strikte parlamentarische Kontrolle von Rüstungsprojekten von aktuell 25 Millionen auf beispielsweise 250 Millionen Euro nicht übernommen. Das propagandistische Dauerfeuer der Industrie, dass Beschaffung noch schneller und noch mehr auf Zuruf, denn auf geregelten Prozessen beruhen soll, wird mit dem Gesetz nicht adressiert und es wird folglich anhalten. Insbesondere die etablierten großen Unternehmen, aber auch die „innovativen“ Start-Ups würden gern ohne ein Amt leben, das Fragen stellt, auf Interoperabilität achtet oder schlicht einen Funktionsnachweis oder einen Kostennachweis fordert – vor allem um Gewinne zu erhöhen und Investoren zu befriedigen.
Fazit
Dass die Beschaffung der Bundeswehr reformbedürftig ist, soll nicht in Abrede gestellt werden, aber der Optimierungswahn geht auf Kosten von Transparenz und Kontrolle. Hier wir ein weiteres Gesetz auf den Weg gebracht, das den wesentlichen Teil (nämlich die Entmachtung von Parlament und auch lokaler Behörden, der Abbau von Umweltstandards, die industriepolitische Neugestaltung der Rüstungsindustrie) weitgehend hinter der Neuauflage eines angeblichen Bürokratieabbaus und der Beschleunigung von Beschaffung versteckt. Der offensichtliche Freibrief, den sich die Regierung damit gibt, immer mehr Geld ins Militär umzuleiten und unhinterfragt auszugeben, ist zu kritisieren.
Die Fehlleitung der Debatte auf das „wie können wir effektiv Geld ausgeben“ sollte einmal mehr auf die Kernfrage, „wollen wir denn wirklich dieses Geld für Mordinstrumente ausgeben“ zurückgeführt werden. Mit dem Pomp um das neue Gesetz wird eine mediale Debatte aufrechterhalten, demzufolge die Aufrüstung nicht schnell genug gehen kann. Wieder wird eine Nebelkerze geworfen, die uns von der absoluten Notwendigkeit weiterer Rüstung überzeugen soll. Die ausufernde Sonderstellung der militärischen Aufrüstung ist zu hinterfragen, denn mit dem schleichenden Umbau unserer Rechtsgrundlagen wird Deutschland scheibchenweise einer vollständigen Militarisierung unterzogen.
Anmerkungen
[1] Greenpeace/Michael Brzoska, It’s not the money, stupid!, Die Hauptprobleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr, Hamburg 2022. Bzw. die Nachfolgestudie: Greenpeace/Michael Brzoska, Arsenale, Aufträge, Amigos, (K)eine Wende in der Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr?, Hamburg 2023,
[2] Andreas Seifert, Patriotismus und Ökonomie, in Ausdruck März 2024, S.27-29. Sowie Mark Ellmann, Zeitenwende und Rechtsruck in Bayern, in Ausdruck Januar 2025, S.17-19.
[3] Jürgen Wagner/Andreas Seifert, Bürgergeld für Leistungsträger, IMI-Analyse 52/2024.
[4] „Die zulässige Nettokreditaufnahme nach der Obergrenze der Schuldenbremse wird in jedem Jahr vollständig ausgeschöpft. Hinzu kommen Einnahmen aus Krediten für die Ausgaben der Bereichsausnahme gemäß Art. 115 Abs. 2 S. 4 GG, die 1 Prozent des nominalen BIP übersteigen. Diese belaufen sich im Jahr 2025 auf rund 32,1 Mrd. Euro und steigen auf rund 121,2 Mrd. Euro im Jahr 2029. Die Ausgaben der Bereichsausnahme bilden den Hochlauf im Bereich der äußeren und inneren Sicherheit ab.“ In: Bundesfinanzministerium, Bundeshaushalt 2025, Eckwerte bis 2029 sowie Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität, BMF-Monatsbericht Juli 2025.